Thorsten Hindrichs, Hamburg 2013

Sarrazinisierung des Popdiskurses

Frei.Wild sind ein Phänomen. Mit patriotischen Texten in Neuer Deutscher Härte stürmt das Südtiroler Rockquartett seit langem so erfolgreich die Charts, dass es für den Musikpreis “Echo” nominiert war – und nach Protesten anderer Kandidaten gleich wieder ausgeladen wurde. Damit hat der Diskurs um die Zugraft kruder Blut-und-Boden-Botschaften im Zirkus Pop eine neue Stufe erreicht, zu der freitagsmedien ein Interview mit dem Musiksoziologen Thorsten Hindrichs zeigen, dessen Forschungsprojekt “Musik und Jugendkulturen” (https://www.facebook.com/ForschungsprojektMusikUndJugendkulturen) an der Uni Mainz unter anderem Ursachen und Wirkung des Rechtsrock in Deutschland erkundet. Als das Interview vorigen Freitag auf Zeit-Online (www.zeit.de/kultur/musik/2013-03/freiwild-interview-thorsten-hindrichs) erschien, wurde es rasch zum meistkommentierten des Tages. Die Mehrzahl der zuletzt 327 Reaktionen stellte sich dabei teils offensiv auf die Seite von Frei.Wild, was die Frage aufwirft, ob Fans der Band rechtem Gedankengut anhängen oder rechtes Gedankengut so weit in den Mainstream eingesickert ist, dass es als solches gar nicht mehr erkannt wird. Dazu liefert Hindrichs interessante Antworten einer Debatte, die damit längst noch nicht erledigt ist.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Hindrichs, beschäftigt man sich als Musikwissenschaftler derzeit automatisch mit dem Phänomen wie Frei.Wild?

Thorsten Hindrichs: Vermutlich schon. Ich jedenfalls bin seit dem vergangenen Semester dafür verantwortlich, das Projekt Musik und Jugendkulturen am Geschichts- und Kulturwissenschaftlichen Institut in Mainz auf den Weg zu bringen, da interessiert mich das Phänomen Frei.Wild nicht nur persönlich, sondern auch wissenschaftlich sehr.

Dann erklären Sie es doch bitte in aller Kürze.

In aller Kürze wird schwierig. Soweit ich es verfolge, haben Frei.Wild sehr clever und sehr erfolgreich eine Lücke deutschsprachigen Rocks gefüllt, die besonders die Böhsen Onkelz hinterlassen haben.

Frei.Wild sind also vor allem ein Marketingphänomen?

Nicht nur, aber sie wissen die Sehnsucht gewisser Teile des Publikums geschickter zu bedienen als viele andere Nachfolgebands der Onkelz. Dabei ist festzustellen, dass die gesellschaftliche Abwehrreaktion, insbesondere in den Feuilletons, erheblich dazu beiträgt, die Popularität der Band nochmals zu erhöhen. Es gibt offenbar ein Publikum, das einfache Antworten auf einfache Fragen sucht und entsprechend versorgt werden will.

Ist diese Suche Folge rechtsradikalen Gedankenguts oder bloß des Bedürfnisses, zu provozieren?

Beides. Ein Teil des Publikums dürfte aus einer gewissen Politikverdrossenheit Lust an der Provokation entwickeln, ein anderer aus einem diffusen „Die-da-oben-wir-da-unten-Gefühl“ latente Systemablehnung. Hinzu kommen Männlichkeitsideale, die schnell in Kategorien wie Stolz münden, was alles zusammen durchaus Anknüpfungspunkte für rechtsradikale Ideologien liefert. Das Spektrum der Rezipienten sprengt also jedes simple Schwarzweiß-Schema.

Halten Sie die Absender dennoch für verfassungsrechtlich bedenklich?

Nein, Frei.Wild ist keine Naziband, aber offen nach rechts. Das wirft also eher die Frage auf, wie weit die Mitte der Gesellschaft anfällig für solche Art von Musik geworden ist. Die hart rechte Szene ist ja relativ klein, auch wenn ihre Auswirkungen wie im Fall der NSU sichtbar wurde bisweilen massiv sind; aber wie weit patriotische, tendenziell nationalistische Ressentiments vom rechten Rand nach innen vordringen, wie vom Konflikt-Forscher Wilhelm Heitmeyer festgestellt, ist wirklich bedenklich. Da ist es fast zu begrüßen, dass durch den Erfolg von Frei.Wild eine Debatte über diese Entwicklung losgetreten wird.

Angestoßen unter anderem aus der Rockmusikszene selbst.

Die dann wie Jupiter Jones, MIA oder Kraftklub voll im Shitstorm der sehr engagierten Frei.Wild-Fans stehen, die zugleich allerdings auf allen Foren posten, wie nett ihre Band ist und dass man noch lange kein Nazi sei, wenn man sein Land liebt.

Ganz nach dem Motto „das muss doch mal gesagt werden dürfen…“

Ganz genau, diese Sarrazinisierung des Popdiskurses ist sehr populär.

Mündet aber gelegentlich in offenen Rassismus oder Antisemitismus unter Klarnamen.

In der Tat. Was aufs Neue belegt, wie offen die Fanszene einerseits in alle Richtungen ist, wie sehr die gesellschaftliche Mitte aber andererseits davon durchdrungen wird. Da hat sich eine Tür geöffnet, durch die zunehmend hindurchgeblickt wird, ohne ganz hindurch zu gehen. Die Kritik am „Gesinnungsterror“ wird da ebenso wenig zu Ende gedacht wie die am „gleichgeschalteten Mainstream“.

Aber machen vierstellige Tonträger-Verkäufe inklusive Echo-Nominierung nicht ihrerseits Frei.Wild zum Mainstream?

In gewisser Weise schon, was auch ein Licht auf die Mitte der Gesellschaft wirft, die sich über den Kaufakt zu Musik und deren Inhalten bekennt. Das wiederum zeigt dann, wie salonfähig bestimmte Thesen mittlerweile sind. Wobei sie gar nicht unbedingt häufiger vorkommen als früher, sondern einfach nur häufiger artikuliert werden – sei es durch Vorbilder wie Thilo Sarrazin oder den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, sei es durch die vielen Foren im Internet mit ihrer Möglichkeit zur Anonymisierung. Man fühlt sich mit keiner Meinung mehr allein, und eine Band wie Frei.Wild bedient das auch musikalisch.

Wenn Sie die mal mit einer rechtsextremen Band wie Störkraft vergleichen – was ist besonders für junge Konsumenten gefährlicher: der offene Faschismus oder der unterschwellige Nationalismus?

Offen faschistische Thesen sind natürlich in letzter Konsequenz gefährlicher, aber da sie Nazibands über eine Musik verbreiten, die nicht dauerhaft mehrheitsfähig ist, halte ich den massentauglichen Transport eines latent völkischen Nationalismus wie bei Frei.Wild für bedenklicher. Jetzt rede ich mich womöglich um Kopf und Kragen, aber ich finde die Gruppe weit weniger gefährlich als anregend für einen breiten Diskurs über rechtes Gedankengut und wie es in die Gesellschaft einzudringen vermag, der vom vermeintlich „gesunden Patriotismus“ deutscher Fähnchenschwinger bei der WM bis hin zu Frei.Wild reicht.

Müsste man dafür nicht mit Frei.Wild in die Debatte treten, statt nur über sie zu reden?

Aus wissenschaftlicher Perspektive muss man alle Seiten beleuchten. Die Gesellschaft sollte also als Ganzes darüber diskutieren, ob es nicht wichtiger sein sollte, Demokrat als Patriot zu sein; die Frage ist nur, ob sich Frei.Wild selbst daran beteiligen wollen, denn damit würden sie sich ja womöglich selbst ihres PR-Potenzials berauben.

War es also richtig von der Echo-Jury, die Nominierung zurückzuziehen oder hätte man sich da öffentlich durchkämpfen sollen?

Da bin ich gespalten. Auf dem jetzigen Stand der Erregung hatte die nominierende Deutsche Phono-Akademie wohl keine Alternative, hat dies aber auf sehr bedenkliche Weise begründet, indem die Pressemitteilung heute davon sprach, der Echo sei kein geeigneter Schauplatz einer öffentlichen politischen Debatte. Das ist er doch! Musik ist ja grundsätzlich Vollzug sozialen und kulturellen Handelns. Genau hier wird es für mich als Musikwissenschaftler ja erst richtig interessant: wenn die Rezipienten, also Hörer, darauf insistieren, das sei doch alles gar nicht politisch, sondern bloß deutscher Rock, der mit Politik überhaupt nichts zu tun habe.

Ist es das denn – bloß deutscher Rock? Oder wie bewerten Sie Frei.Wild musikalisch?

Auch wenn ich Gefahr laufe, mich dem nächsten Shitstorm auszusetzen: Frei.Wild ist 08/15 Rumpelrock, musikalisch also alles andere als aufregend. Ihr Erfolg hat wohl doch eher mit den Inhalten zu tun.



Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.